Erste Begegnung mit dem Tod

Wer einen Freiwilligendienst im Pflegeheim oder in einem Krankenhaus macht, kann mit Sterben und Tod konfrontiert werden. Eine Freiwillige erzählt, wie sie todkranke Patienten begleitet hat. Und warum sie heute für diese Erfahrungen im FSJ dankbar ist.
Foto: epd-bild / Werner Krüper
In der Pflege können Freiwillige mit Sterben und Tod konfrontiert werden.

„Oft stand ein Stuhl vor der Tür des Patientenzimmers. Damit niemand hineingeht. Dann wusste ich, dass dort ein Patient gestorben war“, sagt die ehemalige FSJ-lerin Hanna*.

Der Tod von Menschen und die Trauer von Angehörigen können einem auch im Freiwilligendienst begegnen. Für manche Freiwillige ist es die erste intensive Begegnung mit dem Sterben. So war es bei Hanna (21). Von Herbst 2011 bis Sommer 2012 machte sie ein FSJ in einem Krankenhaus in Leipzig. In den ersten Monaten bekam sie das Sterben von Patienten nur am Rande mit.

In die Aufgabe hineingewachsen

„Ich glaube, die Schwestern haben mich da anfangs bewusst rausgehalten. Das fand ich gut.“ Der Schwerpunkt ihres FSJ lag auf der Pflege. Sie lernte die Grundpflege: Patienten waschen, füttern, Betten reinigen, Visite begleiten, Patientenübergabe. Hanna fand Gefallen daran. „Das Waschen von Patienten zum Beispiel macht durchaus Spaß. Man kann mit den Menschen quatschen, da baut man Beziehungen auf“, sagt sie.

Unangenehme Aufgaben gab es natürlich auch: Windeln bei Patienten wechseln – das fiel ihr anfangs nicht leicht. „Aber ich wusste: Den Patienten ist das doch mindestens so unangenehm wie mir. Und außerdem: Ich will doch, dass das später auch mal jemand bei mir macht.“ Hannas Natürlichkeit kam bei Kranken und Pflegekräften gut an. „Ich durfte nach und nach immer mehr Verantwortung übernehmen“, sagt sie.

Wenn der Tod naht

Mit der Zeit bekam Hanna genauer mit, wie es ablief, wenn ein Patient starb. Oft zeichnete sich der nahende Tod schon Tage vorher ab. Für die Sterbephase sind die Patienten in ein Einzelzimmer gebracht worden. Ist ein Patient gestorben, wird ein Blumenstrauß neben das Bett gestellt und eine Kerze angezündet. Der Verstorbene wird gewaschen und in ein frisches Hemd gehüllt. Dann können die Angehörigen ein erstes Mal Abschied nehmen. Anschließend wird der Patient „hinuntergebracht“ – das heißt, der Leichnam kommt zur Pathologie in das Untergeschoss.

Nach einigen Monaten wollte Hanna mit in die Pathologie gehen. „Ich wollte auch einmal einen Patienten mit hinunterbringen. Es gehört ja irgendwie dazu.“ Als sie dabei helfen durfte, einen verstorbenen Patienten zu waschen, „war das schon ein komisches Gefühl“, sagt Hanna: „Aber ich wollte das. Ich fühlte mich bereit dafür.“

Abschied nehmen

Hanna hat in ihrem Freiwilligendienst gelernt, den Tod zu begreifen und besser damit umzugehen. Sie erzählt von einem Patienten, der während ihres FSJ starb. Er war um die 50. „Als er das erste Mal kam, war er noch ganz selbständig. Er konnte allein ins Bett steigen und wieder aufstehen.“ In den folgenden Monaten kam er immer wieder auf die Station. Seine Krankheit schritt voran. Der Mann sei schließlich „zum Vollpflegefall geworden“, sagt Hanna.

Sie liebte seinen trockenen Humor. Viele Gespräche haben die beiden geführt. Anfangs bei Spaziergängen im Park, später am Krankenbett. Mit der Zeit baute sich zwischen den beiden eine gute Beziehung auf, sie mochten sich. „Er nahm alles so sarkastisch und war doch ein ganz lieber Mensch“, sagt sie.

Anders als beim Opa

Kurz bevor Hannas FSJ zu Ende ging, lag der Mann im Sterben. Es war an einem Wochenende. Die nahen Verwandten des Patienten waren alle da und standen um das Bett. „Als dieser Patient verstorben war, war ich schon irgendwie traurig“, sagt Hanna. Ihre eigene Trauer setzte aber noch nicht im Krankenhaus ein. „Als ich raus war, auf dem Fahrrad, als die Anspannung weg war, da habe ich auf dem Rad auch ein bisschen geweint.“

Hanna hat hier zum ersten Mal richtig Abschied von einem Menschen nehmen müssen. „Als ich vierzehn war, da ist mein Opa gestorben. Das war auch traurig, aber anders. Ich war erst vierzehn, und Opa wohnte nicht am selben Ort. Außerdem ging alles so schnell bei ihm.“ Den Tod ihres Großvaters hatte sie damals nur aus der Ferne mitbekommen. 

Worte finden, Trauer teilen

Als sie im FSJ den 50-jährigen Patienten kennenlernte, pflegte und schließlich verabschieden musste, war das viel intensiver. „Aber irgendwie war es auch gut. Er hatte sich am Ende ja gewünscht zu sterben. Und ich ihm auch. Es war ja erlösend für ihn.“

Mit wem redet man über solche Erfahrungen? Hanna hatte ein gutes Team, das sie trug. „Die Krankenschwestern haben mich gerade die ersten Male immer gefragt: Ist das OK für dich? Und Sie haben mir angeboten, dass ich mit ihnen darüber sprechen kann.“ Geholfen haben Hanna vor allem die Gespräche mit der Familie und die mit der besten Freundin. „Auch der Krankenhausseelsorger hat sich öfters bei den Schwestern und bei mir erkundigt. Ich dachte, der wäre für die Patienten da. Dass er sich auch nach uns erkundigte, fand ich toll.“

"Ich bin durch das FSJ sensibler geworden"

Das Krankenhaus organisierte für die FSJ-lerinnen und FSJ-ler einen Seminartag zu Sterben und Trauer. Die Freiwilligen besuchten die Palliativstation. Fragen wurden besprochen, wie zum Beispiel: Wie gehe ich mit sterbenden Patienten um? Wie kann man sich gegenüber Angehörigen verhalten?

Heute ist Hanna dankbar für die Erfahrungen in ihrem Freiwilligendienst. „Ich bin viel sensibler geworden durch das FSJ. Begriffe wie Koma-Saufen oder ,ich habe etwas gekillt‘ habe ich mir abgewöhnt. Manches in unserer Alltagssprache ist da einfach völlig unangebracht. Ich habe jetzt einen viel größeren Respekt vor Sterben und Tod.“

Kraft, Mut und Trost

Die Situation von Sterbenden und Trauernden ernst zu nehmen, das ist Hanna wichtig geworden. Und das geht nicht ohne eigene Fragen: „Es war schon eine Herausforderung für meinen Glauben. Und das ist es immer noch.“ Dann berichtet sie, dass in diesem Jahr zwei ehemalige Klassenkameraden verstorben sind, ganz plötzlich sei das gekommen. „Mit dem Tod meiner Mitschüler, da hapere ich schon eher.“

Mit dem Tod wird man nicht fertig. Und doch, in Bezug auf das FSJ kann Hanna sagen: „Ich habe gelernt, die Kranken immer wieder noch zum Leben zu ermutigen. Und ich habe gelernt, den Trauernden Kraft, Mut und Trost zu spenden.“ 

Hanna studiert heute Medizin.


* Der Name der Freiwilligen wurde von der Redaktion geändert